"Wir treffen die Entscheidung gemeinsam." Wenn es um die individuell richtige Wahl der Verhütungsmethode geht ist das Zusammenspiel von Patienten und Gynäkologen Grundsatz. Aber wie soll Frau bei einer solch umfassenden Thematik mit entscheiden können? Wie kann man sich valide und seriöse Informationen einholen ohne von virtuellen Aluminiumhelmträgern verunsichert zu werden? Ich kann dir die Entscheidung der für dich passenden Verhütungsmethode aus der Ferne nicht abnehmen, aber ich kann dich informieren.
Willkommen im Verhütungs 1&1.
Ein Trend der letzten Jahre ist: "Ich möchte keine Hormone mehr zu mir nehmen!"
Grundsätzlich ein Ansatz den man verstehen kann. Geht man aber einen Schritt weiter und fragt: "Welche Hormone meinen Sie genau und warum?" wird es meist ruhig im Sprechzimmer. So richtig Wissen und Verstehen ist bei der Komplexität nämlich selbst für viele Kolleginnen und Kollegen manchmal gar nicht so einfach. Man hat halt gehört das Hormone nicht gut seien und viele Nebenwirkungen haben. Über das Nebenwirkungsprofil scheinen viele mutmaßlich besser Bescheid zu wissen als über das eigentliche Wirkprofil und die Hormone selbst. Hier also die kleine Hormonkunde, die erst gar nicht so kompliziert klingt, sich aber im Detail verliert und unübersichtlicher zu werden scheint.
Grundsätzlich arbeitet die hormonelle Verhütung mit zwei Hormonen:
Östrogene und Gestagene.
Diese kommen auch systemisch und physiologisch im menschlichem Körper vor. Wer mein YouTube Video über den weiblichen Zyklus gesehen und verstanden hat, weiß: ohne diese Hormone ist Frau nicht Frau. Sie steuern unabhängig vom Zyklus der Frau auch Prozesse im Mann.
Ein kruzer Steckbrief:
Östrogene:
Sind die wichtigsten weiblichen Sexualhormone. Sie sind Steroidhormone welche in den Eierstöcken (weniger auch z.B. in Nebennierenrinde und Fettgewebe) zyklusabhängig ausgeschüttet werden. Östrogen ist zur Ausprägung und Aufrechterhaltung der Geschlechtsorgane essentiell und steuert den zyklischen Aufbau der Gebärmutterschleimhaut und verdünnt den Pfropf im Gebärmutterhals. Es wirkt aber auch an vielen anderen Organsystemen im Körper. Dazu gleich mehr.
Östrogen ist der Überbegriff. Die wichtigsten körpereigenen Östrogene sind
Östradiol (E2 ), Östron (E1) und Östriol (E3), wobei E2 das wirksamste Östrogen im menschlichen Körper ist.
Man kann Östrogene auch synthetisch, also im Labor herstellen. Hauptvertreter ist das so genannte Ethinylestradiol.
Ethinylestradiol hat eine verstärkte östrogene Wirkung und ist quasi der Popeye unter den Östrogenen.
Vor einigen Jahrzehnten war die Herstellung dieses Labor- Hormons bahnbrechend und ein Befreiungsschlag in der sexuellen Emanzipation. Das Wirkprofil wurde bejubelt. Eine kleine Pille, die verhindert schwanger zu werden. Was das für die Frau bedeutet haben muss ist heute nicht mehr vorstellbar. Der Papst fand das natürlich alles nicht so lustig.
Heute ist nicht mehr das Wirkprofil, sondern vor allem das Nebenwirkungsprofil in den Fokus der medialen Öffentlichkeit gerückt.
Das liegt an diversen Studien der WHO aus dem Jahr 2015, aber auch daran, dass das Bewusstsein der Bevölkerung sich geändert hat. Wir wollen wieder Natürlichkeit und stellen in Frage.
Um die Nebenwirkungen zu verstehen bietet sich erst der Blick auf das umfassende Wirkprofil an. Was bewirken Östrogene wo?
Knochen: Knochenaufbau
Gefäßsystem: Schützender Effekt (positiver Effekt auf Fettstoffwechsel, antihypertensiv, also Blutdruck regulierend)
Blutgerinnung: Erhöhte Thrombose- und Gerinnungsneigung
Niere: Wasser- und Natriumretention erhöht → Wassereinlagerung
Proteinsynthese: Verstärkt (anabole Wirkung)
Leber: Verminderung der Bilirubinausscheidung
Uterus: Proliferation der Schleimhaut, Erhöhung der Kontraktilität des Myometriums
Zervix: Vermehrte Produktion und Spinnbarkeit des Zervixschleims, Weitstellung der Zervix → Erleichterung der Spermienaszension
Vagina: Vermehrte Proliferation des Plattenepithels
Brüste: Entwicklung der Brustdrüse
Genitalregion: Schambehaarung und Pigmentierung
Markiert habe ich euch die Wirkungen, die im Umkehrschluss auch typische Nebenwirkungen für Ethinylestradiol sind:
Empfindlichkeit der Brust
Gewichtsveränderungen
Akne
Stimmungsschwankungen
Vaginitis
Gelegentlich kommt es zu Veränderungen des Appetits, Bauchkrämpfen oder Ausschlag.
Die Dosis macht das Gift.
Viele unerwünschte Wirkungen sind dosisabhängig und treten bei heute verwendeten niedrigdosierten Präparaten (etwa 10–35 μg Ethinylestradiol) seltener auf.
Nicht zu unterschlagen ist jedoch die Metabolisierung, also Verstoffwechselung von Ethinylestradiol. Die Leber braucht mehrere Stunden und viele Durchlaufe um das synthetische Östrogen zu zerlegen und über Galle und Niere auszuscheiden. Dies ist bei natürlichem E2 nicht der Fall. Hier reicht eine Leberpassage.
Östrogene werden bei der Empfängnisverhütung nie allein gegeben, sondern immer in Kombination mit den Gestagenen, die wir jetzt besprechen wollen. Entgegen vieler Meinungen wird die kontrazeptive Wirkung in erster Linie durch Gestagene gewährleistet. Die zusätzliche Gabe von Ethinylestradiol dient hauptsächlich der Zyklusstabilisierung!
Aktuell gibt es neben den synthetisch hergestelltem Ethinylestradiol natürliches Östrogen, welches viele positive Effekte, weil weniger negative Effekte, zu haben scheint. Langzeitdaten fehlen hier natürlich noch, weshalb bei Risikokonstellation dennoch auf die neuen Präparate verzichtet werden soll.
Gestagene:
Sind ebenfalls Steroidhormone und schaffen optimale Bedingungen für eine mögliche Einnistung einer befruchteten Eizelle. Sie dienen außerdem - nach erfolgreicher Einnistung - der Erhaltung der Schwangerschaft. Der wichtigste Vertreter im Körper ist Progesteron.
Mittlerweile gibt es weit über 20 verschiedene Gestagenderivate, also synthetisch hergestellte Gestagene, welche sich untereinander in Wirk- und Nebenwirkungsprofil unterscheiden. Sie sind der Hauptbestandteil des Verhütungseffekts und bieten durch ihre Verschiedenartigkeit Angriffspunkte für viele Vor- und Nachteile. Hier kann man sich schnell im Detail verlieren. Stellt euch vor ihr habt statt Salz noch zwanzig andere Gewürze und müsstest die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und deren Resultate beschreiben.
Besprechen wir lieber den physiologischen Effekt der körpereigenen Gestagene:
Sie schaffen nach dem Eisprung optimale Bedingungen für eine mögliche Einnistung. Sie steuern die Umwandlung der Schleimhaut in der zweiten Zyklushälfte. Der Zervikalkanal wird undurchlässiger durch Zunahme der Viskosität des Zervixschleims und damit der Verdickung des Schleimpfropfes. Sie senken die Beweglichkeit der Eileiter und bauen die Drüsen der Brustzellen um und lassen sie wachsen. Außerdem sind die meisten Gestagene auch Gegenpart zu Östrogenen. Sie stimulieren die Inaktivierung und den Abbau von Östrogen.
Schauen wir uns die Übersicht an. Gestagene bewirken:
Uterus: Schafft nach dem Eisprung optimale Bedingungen für eine mögliche Einnistung.
Endometrium: Umwandlung der proliferativen zur sekretorischen Schleimhaut
Zervix: Zervikalkanal wird undurchlässiger, Zunahme der Viskosität des Zervixschleims, Verdickung des Schleimpfropfes
Brüste: Wachstum und Sekretionsbereitschaft der Brustdrüsen
Thermogener Effekt → Erhöhung der Basaltemperatur um 0,5°C in der zweiten Zyklushälfte
Beeinflusst die Gemütsstimmung
Teilweise antiandrogene Wirkung (wirkt gegen Akne, vermehrte Behaarung etc.)
Picken wir uns eines der synthetischen Gestagene heraus, welches über die Zeit gut untersucht ist und nun als Beispiel für das Nebenwirkungsprofil gelten soll. Levonorgestrel.
Auch die Nebenwirkungen von Levonorgestrel sind dosisabhängig (sie treten oft bei der "Pille danach" auf). Auch hier sehen wir Parallelen zum Wirkprofil:
Brustspannen, Schmierblutungen und Müdigkeit sind bei über zehn Prozent zu beobachten.
Der psychische Effekt kann sowohl positiv als auch negativ sein. Frauen mit ausgeprägtem PMS können durch gestagenhaltige Pillen Linderung der Symptomatik erfahren. Es werden aber auch depressive Verstimmungen unter dem Gelbkörperhormon beschrieben.
Die Nebenwirkungen bei der Einnahme als Verhütungspille sind meist seltener und weniger stark ausgeprägt.
Wir haben gelernt, dass die Gestagene zwar den Hauptanteil am Verhütungseffekt haben, die Östrogene stabilisieren jedoch den Zyklus, sodass es weniger oft zu Zwischenblutungen kommt. Gestagene können auch allein eingesetzt werden. Beides hat seine Vor- und Nachteile.
Es gibt hormonelle Verhütungspillen, Pflaster, Ringe, Spritzen, Stäbchen und Spiralen. Das bespreche ich aber ausführlicher mit euch in einem YouTube Video.
Wir haben gelernt, dass es auf die Dosis ankommt. Hier gibt es vor allem viele Variationen bei den Gestagenen.
Wir haben gelernt, dass sowohl Östrogene als auch Gestagene ein Wirk- und Nebenwirkungsprofil haben.
Was ist mit dem Krebsrisiko?
Ihr habt sicherlich auch mal gelesen, dass Hormone Einfluss auf verschieden Arten von Krebs haben soll. Die Datenlage ist hier aber zum Teil sehr schwammig.
Risiko für: Mammakarzinom (Brustkrebs):
Unklar. Man geht von einem geringgradig höheren Risiko aus, welches abhängig von der Einnahmedauer ist. Je länger, desto höher das Risiko (über 5 Jahre.) Es scheint aber auch so, dass das Risiko sich nach absetzen wieder relativiert.
Ovarial (Eierstock)-, Endometrium (Gebärmutter)- und Kolonkarzinome (Dickdarmkrebs): Erniedrigt. Tatsächlich senkt man für diese Krebsentitäten sogar das Risiko, wenn man hormonell Verhütet.
Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs):
Hier zeigt sich statistisch ebenfalls ein erhöhtes Risiko, welches auch abhängig ist von der Einnahmedauer.
Gerade bei der Kontrazeption muss einem immer bewusst sein, dass man hier gesunde Menschen "behandelt". Es ist unabdingbar sich Vorerkrankungen, Begleiterkrankungen und eine mögliche Medikamteneinnahme anzuschauen bevor man in dieses hormonelle System eingreift. Für euch ist es ebenfalls wichtig eure Ärzte darauf hinzuweisen.
Hormone helfen vielen Frauen bei vielfältiger Symptomatik und sozioökonomischen Gesichtspunkten. Hormone greifen aber auch in das System ein und sind sehr wirksame Medikamente.
Schlussendlich sollte eine gemeinsame Entscheidung das Ziel sein. Voraussetzung dafür ist eine gute und valide Aufklärung, ein offenes Gespräch und Informationsaustausch um die bestmögliche Verhütungsvariante für dich zu finden.
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